In den letzten Wochen fällt mir mehr und mehr auf, dass Toleranz von denen eingefordert wird, die selbst absolut intolerant sind.
Toleranz! Was ist das eigentlich?
Laut Wikipedia:
Toleranz ist ein Gelten- oder Gewährenlassen anderer, fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Das Adjektiv tolerant bedeutet „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ sein, intolerant (auch unduldsam) dagegen, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten zu lassen als die eigene.
Es gibt viele Gebiete auf denen man sich tolerant verhalten kann: in der Religion, in der Ethik, in der Politik, in der sexuellen Orientierung, in der Mode, in der Kunst, und vieles mehr.
Wie jede Medaille zwei Seiten hat, hat sie auch die Toleranz. Wenn die Toleranz weicht, nimmt die Intoleranz zu und wenn die Intoleranz abnimmt, nimmt die Toleranz wieder zu.
Schwierig ist es im täglichen Leben, die helle Seite der Medaille zu erkennen, während die dunkle einfach verdeckt bleibt. Und wenn die dunkle Seite doch einmal ans Tageslicht kommt, wie verhalten wir uns dann?
Ich persönlich halte mich für einen toleranten Menschen, andere mögen das anders sehen, es sei ihnen erlaubt. Ich kann sehr gut unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen lassen. Erst wenn sie mich selbst berühren, dann muss ich zu ihnen Stellung nehmen.
Zu aller erst erstelle ich dann eine Für- und Wider-Liste.
Die meisten Menschen glauben nun, dass es sehr hilfreich sei, die einzelnen Fakten zu überprüfen und nach Faktenlage zu entscheiden.
Je älter ich werde, desto weniger bevorzuge ich diese Technik. Mittlerweile gehe ich lieber in mich und höre in mich hinein, was mich zu den einzelnen Fakten bewegt, welche Emotionen sie in mir auslösen und was diese mit mir machen. So kann ich, glaube ich, ganz gut die Grenze erkenne, über die ich nicht gehen möchte.
Wenn ich diese rote Linie für mich selbst erkannt habe, dann werde ich auch in meinen Handlungen konsequent oder, wie manch anderer behaupten würde, intolerant.
Eine Herzensentscheidung ist für mich ehrlicher, besser und weltbewegender als eine reine Vernunftentscheidung.
VORRAUSGESETZT: Man hat Herzensbildung!
Diese Art der Bildung scheint immer mehr vernachlässigt zu werden. Unsere Gesellschaft stellt das Individuum stärker in den Vordergrund als die Gemeinschaft. Das Mitempfinden für unsere Umwelt schwindet zunehmend. Da ist es dann ganz einfach, anderen Menschen beim Leiden zuzuschauen ohne eine persönliche Betroffenheit zu fühlen. Es ist dann gleichgültig, wenn Lebewesen und Umwelt ausgebeutet werden. Mitleid und Anteilnahme werden zu Fremdwörtern.
Es gibt zwischen Toleranz und Intoleranz keine echte Grenze, sondern nur eine persönliche. Was bin ich noch bereit mitzutragen, was ist für mich absolut indiskutabel.
Die Grenze kann sich auch jeder Zeit durch Veränderung von äußerlichen oder innerlichen Situationen verändern. Ich sehe das ein bisschen so wie Sonne und Schatten oder die zwei Seiten einer Medaille. Im Laufe des Tages verändern sich die Stellen von Hell und Dunkel, sowie sie sich auch im Laufe eines Lebens verändern können.
Jeder Mensch, jedes Lebewesen, jedes Ding ist einem Wandel unterworfen. Deswegen gibt es nichts Fixes. Dennoch weiß ich, dass gewisse Grundwerte, soziale Kompetenzen, ethisch/moralisches Verhalten, die Menschlichkeit und Menschenwürde immer den gleichen Bestand für mich haben werden.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal Prof. Dr. Gisela Steins, Universität Duisburg-Essen, Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie, Fakultät für Bildungswissenschaften) zitieren:
„Soziale Kompetenzen stehen heute nicht mehr im Mittelpunkt der Erziehung; Disziplin bzw. die damit verbundenen Fähigkeiten sind out. Das bedeutet: Man kann nicht erwarten, dass Kinder bereit sind, diese Investition von sich aus zu tätigen.“
„Wir tun gut daran, diese Kulturtechniken weiterzugeben, denn von ihnen hängt ganz entscheidend die Zukunft unserer Gesellschaft ab. Viele negative Ereignisse der Menschheitsgeschichte wären anders verlaufen, hätten die Beteiligten fundierte Kenntnisse und Fähigkeiten eines angemesseneren Umgangs miteinander zur Verfügung gehabt.“
Darüber nachzudenken lohnt sich!
Es ist nicht leicht, bei jedem Unsinn, der verbreitet wird, tolerant zu bleiben. Wenn mich etwas richtig berührt, werde ich mich auch dazu äußern, wenn ich noch Hoffnung habe, das ich etwas anrühren kann. Sonst mache ich lieber wie mein Opa eine Faust in der Tasche. Es wird oft nur etwas ohne Sinn und Verstand dahingeplappert, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Schlimm, wenn man das nötig hat. Das eigene „Ich“ ist so im Vordergrund, daß man nicht mehr Dichtung und Wahrheit unterscheiden kann. Anstatt darüber nachzudenken, was man da anrichtet und wem man Schaden mit der eigenen Handlungsweise zufügt. Die Hauptsache ist, man fühlt sich selber gut. Widerspruch ist nicht erwünscht, dann wird aggresssiv gehandelt.
Dabei schadet man sich nur selber.