Ich weiß nicht so genau warum, aber dieses Gedicht von Clemens Brentano kommt mir zurzeit immer wieder in den Sinn. Dann sehe ich meine Oma Luise vor mir sitzen, wie sie das Gedicht rezitiert. Wenn sie das Gedicht aufsagte, dann lief mir immer ein Schauder über den Rücken, der sich dann in wohlige Geborgenheit auflöste.
Vielleicht wünsche ich mir heute so eine undurchdringliche Mauer gegen den Corona-Virus oder als Schutz vor uneinsichtige Menschen.
Der Inhalt des Gedichtes bezieht sich auf den napoleonischen Krieg im Jahr 1814. Schweden und Russen hatten sich verbündet, um den Dänen Norwegen streitig zu machen. Aus Hamburg hatten sich die Franzosen zurückgezogen. Unter dem Jubel der Hanseaten rückten Kosaken als Vorhut der Nordarmee ein. In der lokalen Geschichte in Holstein und Schleswig wurde vom „Kosakenwinter“ geredet. Nur gut 2.000 Kosaken hinterließen den größten Eindruck bei den Einheimischen. Das lag an ihrem fremdländischen Aussehen, und auch daran, dass die Reiter mit damals unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das Land zogen, unerwartet auftauchten und ebenso schnell wieder abzogen.
Draus bei Schleswig vor der Pforte
Wohnen armer Leute viel,
Ach, des Feindes wilder Horde
Werden sie das erste Ziel.
Waffenstillstand ist gekündet
Dänen ziehen ab zur Nacht,
Russen, Schweden stark verbündet,
Brechen her mit wilder Macht.
Draus bei Schleswig steht vor allen
Weit ein Häuslein ausgesetzt.
Draus bei Schleswig in der Hütte
Singt ein frommes Mütterlein,
„Herr, in deinen Schoß ich schütte
Alle meine Angst und Pein.“
Doch ihr Enkel ohn‘ Vertrauen,
Zwanzigjährig neuster Zeit,
Hat den Bräutigam zu schauen
Seine Lampe nicht bereit.
Draus bei Schleswig in der Hütte
Singt ein frommes Mütterlein.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt das fromme Mütterlein,
„Dass dem Feinde vor uns graue
Hüll‘ in deine Burg uns ein.“
„Mutter,“ spricht der Weltgesinnte,
„Eine Mauer uns ums Haus
Kriegt unmöglich so geschwinde
Euer lieber Gott heraus.“
„Eine Mauer um uns baue“:
Singt das fromme Mütterlein.
„Enkel fest ist mein Vertrauen,
Wenn’s dem lieben Gott gefällt,
Kann er uns die Mauer bauen,
Was er will ist wohl bestellt.“
Trommeln rommdidomm rings prasseln
Die Trompeten schmettern drein,
Rosse wiehern, Wagen rasseln,
Ach nun bricht der Feind herein.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt das fromme Mütterlein.
Rings in alle Hütten brechen
Schwed‘ und Russe mit Geschrei,
Lärmen, fluchen, drängen, zechen.
Doch dies Haus ziehn sie vorbei.
Und der Enkel spricht in Sorgen
„Mutter, uns verrät das Lied.“
Aber sieh, das Heer vom Morgen
Bis zur Nacht vorüberzieht.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt das fromme Mütterlein.
Und am Abend tobt der Winter
An das Fenster schlägt der Nord
„Schließt den Laden, liebe Kinder“,
Spricht die Alte und singt fort
Aber mit den Flocken fliegen
Vier Kosakenpulke an.
Rings in allen Hütten liegen
Sechzig, auch wohl achtzig Mann.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt das fromme Mütterlein.
Bange Nacht voll Kriegsgetöse,
Wie es wiehert, brüllet, schwirrt,
Kantschuhhiebe, Kolbenstöße.
Weh, des Nachbars Fenster klirrt
Hurrah, Stupai, Boschkai, Kurba,
Vinu, Gleba, Biba, Rack
Schreit und flucht und plackt die Turba.
Erst am Morgen zieht der Pack.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt das fromme Mütterlein.
„Eine Mauer um uns baue“
Singt sie fort die ganze Nacht.
Morgens ward es still, „o schaue
Enkel, was der Nachbar macht!“
Auf nach innen geht die Türe,
Nimmer käm‘ er sonst hinaus.
Dass er Gottes Allmacht spüre,
Lag der Schnee wohl mannshoch draus.
„Eine Mauer um uns baue“,
Sang das fromme Mütterlein!
„Ja der Herr kann Mauern bauen.
Liebe fromme Mutter komm,
Gottes Mauer anzuschauen,“
Sprach der Enkel und ward fromm.
Achtzehnhundertvierzehn war es,
Als der Herr die Mauer baut,
In der fünften Nacht des Jahres
Hat’s dem Feind vor ihr gegraut.
„Eine Mauer um uns baue.“
Sing‘ ich mit dem Mütterlein.
Eure Birgitt