Wie in unserer medialen Gesellschaft üblich ist der „Kampf der Kulturen“ spätestens seit Erscheinen des Buches „Clatch of Civilizations “ von Samuel Huntington im Jahr 1996 in aller Munde. Huntington zeichnet das Menetekel des Verblassens des Westens und das Erstarken des Islams an die Wand. Thilo Sarrazin schlägt in die gleiche Kerbe. Mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ schürt er Ängste und darf ungestraft rassistische Aussagen tätigen.
2007 erteilten Ilija Trojanow, deutscher Schriftsteller bulgarischer Abstammung, und Ranjit Hoskoté, indischer Schriftsteller, Huntington eine „Kampfabsage“: Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen ineinander. Kulturen verfügen nicht über eine unüberbrückbare Abgrenzung von anderen Kulturen und einen unveränderlichen Kern. Dies, so die Autoren, seien nur historische Mythen, denn der Austausch in Kunst, Philosophie oder Wirtschaft führte erst zur Entwicklung der westeuropäischen Gesellschaften hin zu ihrem jetzigen Stand. Anhand von Esskultur, Kunst, Musik, Mode, Architektur und Technologie legen sie dar, dass es immer eine Annäherung oder Durchmischung der Kulturen gegeben hat.
„Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ war das Motto des Dichters und Sprachgelehrten Friedrich Rückert, der 40 Sprachen beherrschte.
Viele klassische deutsche Dichter waren offen für ferne Kulturen. Viele Gedanken, aber auch poetische Formen und Motive gingen in die deutsche Dichtung über. Die deutsche Klassik ist ein großer kultureller Dialog.
Wer kennt nicht Lessings „Nathan, der Weise“ mit der berühmten Ringparabel über die drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Oder Goethes Dialog mit dem persischen Dichter Hafis im Westöstlichen Divan. Auch Schillers Turandot (die auf ein persisches Märchen über eine chinesische Prinzessin zurückgeht) oder Heines Gedicht über den persischen Dichter Firdausi und viele, viele mehr.
In der Dichtung anderer Kulturen und in der eigenen Gemeinsamkeiten zu entdecken, macht Freude. Deswegen eignet sich die Weltpoesie so gut für den Dialog der Kulturen.
Dieser Dialog der Kulturen würde sich auf die deutsche Kultur in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken. Viele Deutsche kennen ja die wunderbare Dichtung in ihrer Muttersprache gar nicht mehr. Vielleicht lernt so mancher wieder die Schönheit der deutschen Dichtung durch Beschäftigung mit der Weltpoesie kennen und findet auf diesem Weg wieder Zugang zu den deutschen Dichtern, die an diesen fremden Kulturen dasselbe liebten wie ich heute.
Ich möchte meinen heutigen Beitrag mit einem Zitat von einem meiner Lieblingsdichter Rabindranath Tagore beschließen:
„Nicht der Boden ist das Vaterland,
sondern die Menschen darauf.“