Gegen emotionale Armut

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Am letzen Freitag versprach ich Ihnen ein Präventionsprogramm um emotionale Armut zu verhindern. Ich möchte Ihnen hier die Zutaten zu einem erfolgreichen Programm vorstellen. Egal ob im Kindergartenalter, in der Schule oder allgemein im täglichen Leben, je mehr Zutaten bekannt sind und gebraucht werden, desto friedlicher, weltoffener und zufriedener werden die Menschen werden.

Wer einen guten Kuchen backen will, muss bekanntlich sieben Sachen haben. Für ein erfolgreiches Programm gegen die emotionale Armut brauchen wie nur drei wichtige Säulen: die emotionale Fähigkeit, Gefühle zu erkennen und zu benennen, die kognitive Fähigkeit, den Problemen des Lebens positiv und mit dem Willen sie zu lösen gegenüber zu treten und die kommunikative Fähigkeit, nonverbal Zeichen zu erkennen und verbal seine Vorstellung klar zu formulieren, zu zuhören und Kompromisse schließen zu können.

Hört sich eigentlich ganz einfach an, nur wo lernen wir das?

Wer viel Glück hat, erlernt die Fähigkeiten bereits in der Ursprungsfamilie. In vielen Familien wird aber kein Wert darauf gelegt, dass aufkeimende Gefühle erkannt, benannt und ernst genommen werden. Ist ein Junge weinerlich, folgt der Spruch: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Mädchen dürfen zwar weinen, müssen aber „lieb“ sein und sich nicht wehren. Bevor Kinder ihre Gefühle richtig wahrnehmen, werden sie durch übergestülpte gesellschaftliche Normen reglementiert. Es wird erwartet, dass die Gefühle totgeschwiegen werden und man funktionieren muss. Wer sich selbst nicht versteht, wie soll der die Regungen und Gefühle anderer verstehen?

Wer schon nicht die eigenen Gefühle erkennt, der ist wahrscheinlich auch nicht in der Lage die Heftigkeit eines Gefühls einzuschätzen. Wenn ein Kind so richtig zornig wird, dann kann es schon einmal vorkommen, dass es dem anderen Kind einen Gegenstand über den Kopf zieht. Wenn dann Eltern nicht erklären, welche Schmerzen es dem anderen zugefügt hat, dann empfindet es kein Gefühl für sein Gegenüber und wird beim nächsten Mal wieder impulsiv und hart zuschlagen. Wenn die überzogene Handlung erkannt werden kann, kann auch eine angemessene erfolgen.

Am 28.10. habe ich mit der Biologie der Empathie beschrieben, wie anhand von Gesichtsausdrücken viele Menschen nachempfinden können, was ein anderer Mensch empfindet. Und das dies für unser friedliches Zusammenleben sehr wichtig ist. Allein an der Körperhaltung und am Blick können wir erkennen, ob ein Mensch aggressiv, devot oder selbstbewusst reagieren wird. Kann ich mich in einen anderen hineinversetzen, kann ich auch Lösungen finden, die für beide passen.

Ein erfolgreiches Präventionsprogramm könnte z.B. beinhalten:

  • Zum Beginn eines Tages abfragen, wie die Gefühlslage der Teilnehmer ist.
  • Emotionale Probleme thematisieren und gemeinsam nach Lösungen suchen. Viele Fragen stellen und sich in die Gemütslage des Berichtenden hineinversetzen.
  • Diskutieren lernen mit dialektischer Erörterung: These, Antithese, Synthese
    So wird erlernt zu einem Thema auch die Gegenargumente zu sammeln, zu verstehen und These und Antithese zu einer sinnvollen Synthese zusammen zu führen.
  • In Projekten die Kooperation stärken. Wenn alle unterschiedlichen, vorhandenen Fähigkeiten eingebracht werden, kommt man schneller zu einem besseren Ergebnis.
  • Lernen Kritik so anzubringen, dass sie nicht beleidigend oder herabwürdigend ist, sondern zu einem besseren Verständnis führt. Es hilft dabei den eigenen Standpunkt als „Ich“-Botschaft auszusprechen. Ich sehe… Ich empfinde… Ich fühle…
    Keine direkten Anschuldigungen oder aggressive Schlussfolgerungen ziehen, die es dem Anderen schwer machen Botschaften auf- und anzunehmen.
  • Beim Gespräch Blickkontakt aufnehmen, auf Körperhaltungen und Gesichtsausdruck achten.
  • Während des Tages immer wieder stressabbauende Tätigkeiten einfügen wie körperliche Bewegung, Entspannungstechniken wie Meditation, geführte Phantasiereisen, etc.
  • Den Tag beschließen, dass jeder seine Sorgen des Tages berichten und bewerten darf. Gemeinsam können kreative Wege besprochen und gefunden werden.
    Auf diesem Weg kann die Erkenntnis reifen, welches Gefühl hinter Verletzungen und Wut steckt und wie man mit Ängsten und Traurigkeit umgeht. So wird die Selbstverantwortung geschult, dass jeder Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen muss und Verpflichtungen eingehalten werden müssen.

Dieses oder ähnliche Programme führen zu mehr

  • Selbstsicherheit
  • Selbstbeherrschung
  • Rücksichtnahme (auch auf Schwächere)
  • Hilfsbereitschaft
  • Konfliktlösungsfähigkeit
  • Anteilnahme
  • Verantwortungsbewusstsein
  • Offenheit

In den USA gibt es seit einigen Jahren Schulen, die mit großem Erfolg die Lebenskunst-Schulungen (Self Science) anbieten.

Auch in deutschen Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten werden vermehrt Schulungen der sozialen und emotionalen Kompetenz vorangetrieben. Argumente dafür sind u.a.( Quelle: Bildung von sozialen Kompetenzen in der Schule, Gisela Steins, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Bildungswissenschaften, 2014)

„Soziale Kompetenzen stehen heute nicht mehr im Mittelpunkt der Erziehung; Disziplin bzw. die damit verbundenen Fähigkeiten sind out. Das bedeutet: Man kann nicht erwarten, dass Kinder bereit sind, diese Investition von sich aus zu tätigen.“

„Wir tun gut daran, diese Kulturtechniken weiterzugeben, denn von ihnen hängt ganz entscheidend die Zukunft unserer Gesellschaft ab. Viele negative Ereignisse der Menschheits-geschichte wären anders verlaufen, hätten die Beteiligten fundierte Kenntnisse und Fähigkeiten eines angemesseneren Umgangs miteinander zur Verfügung gehabt.“

Mitleid und Anteilnahme für die Moral

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„Geteiltes Leid ist halbes Leid“, so sagte meine Großmutter immer. Und irgendwie ist das immer noch richtig. Wenn es jemanden gibt, der sich aufrichtig mit meinen Sorgen und Leid beschäftigt, so bedeutet das, dass er den Versuch unternimmt, mich zu verstehen, nachzuvollziehen, was in mir vorgeht, was mich bewegt, welcher Anlass mich so traurig macht. Allein diese Anteilnahme bewirkt oft schon Wunder.

Mitempfinden, Anteilnahme setzt sich auch immer mit moralischen Bewertungen auseinander. Immer öfter lese ich in Zeitungen über Gaffer bei Unglücken, die die Retter behindern. Würden die Gaffer sich nur einen Moment in die Opfer hineinversetzten können, dann würden sie, vorausgesetzt sie sind überhaupt in der Lage Mitleid zu empfinden, schnell vom Gaffer zum Retter.

Warum opfern sich so viele Menschen ehrenhalber für die Opfer von Naturkatastrophen auf? Warum gibt es Menschen, die ihr eigenes Leben riskieren, um ein anderes zu retten?

Martin Hoffmann, Empathie-Forscher an der New York University, vertritt die These, dass Empathie die Voraussetzung für Moral, Ethik und Altruismus ist. Nur, wer sich in einen anderen hineinversetzen kann, kann auch andere Menschen veranlassen moralischen Prinzipien zu folgen.

M. Hoffmann stellte fest, dass es noch weitere Aspekte des moralischen Urteilens und Handelns gibt. Ein Aspekt ist der empathische Zorn, das natürliche Verlangen nach Vergeltung. Er tritt dann auf, wenn wir uns verletzt fühlen, weil jemand anderes verletzt wurde. Zu theoretisch?

Stellen Sie sich vor, Sie sehen eine Gruppe von Kindern, die dem kleinsten unter ihnen die Mütze vom Kopf reißen und diese von einem zum anderen werfen. Der kleine Mann hat keine Chance gegen die viel größeren zu gewinnen. Er wehrt sich zunächst verbal und die anderen verhöhnen ihn noch zusätzlich, als Zwerg, Wicht, Behinderten. Irgendwann schlägt die Stimmung weiter in Aggression um, er wird geschubst und getreten. Sie sehen die Verzweiflung in den Augen des Jungen und sehen, dass er die Tränen nicht lange mehr unterdrücken kann. Nun steigt wahrscheinlich ein „empathischer“ Zorn in Ihnen auf. Sie gehen hin und machen dem Treiben ein Ende, geben dem schikanierten Jungen die Mütze zurück und sagen den anderen ein paar Worte zu ihrem unfairen Verhalten.

Ihre Empathie hat Sie also dazu bewogen zu Gunsten des Opfers einzugreifen.

Untersuchungen in den USA und Deutschland haben gezeigt, dass die Stärke der Empathie direkt proportional zur moralischen Verantwortung steht.

Als Beispiel diente hier die Verteilung von Mitteln.

Je weniger Empathie die Menschen empfanden, desto stärker befürworteten sie das Prinzip, dass Entlohnung sich nach der erbrachten Leistung richten sollte. Je stärker Empathie empfunden wurde, wurde die Verteilung von Mitteln nach Bedarf unterstützt.

Kommt mir irgendwie ganz aktuell und bekannt vor.

In meiner Jugend war ein Spruch im Umlauf: „Wer mit 16 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 60 immer noch ist, keinen Verstand.“

Gemäß den Forschungen haben Jugendliche das höchste Maß an Einfühlungsvermögen erreicht. Sie können sich nach den vorangegangenen Entwicklungsstufen in die Not ganzer Gruppen hineinversetzen, wie Arme, Obdachlose, Unterdrückte, Ausgestoßene, Flüchtlinge, etc. Dieses Verständnis in der Jugend kann moralisches Handeln stützen, das dem Bedürfnis entspringt, Unglück und Ungerechtigkeit zu lindern.

Nur, diese Moral muss auch von der Erwachsenenwelt vorgelebt und gefördert werden. Tun wir das im ausreichenden Maße in Ausbildungsstätten und in der Öffentlichkeit?