Noch heute kann ich mich gut daran erinnern, dass die Weihnachtsbäume in den verschiedenen Familien auch unterschiedlich aussahen.
Unser Weihnachtsbaum war immer schlank, hoch und gleichmäßig gewachsen, eben wie eine typische Harztanne. Der Christbaumschmuck war jedes Jahr derselbe. Von Zeit zu Zeit wurde kaputtes durch neues ersetzt. Das war es dann aber auch. Manche Schmuckteile stammten noch aus der Kinderzeit meines Vaters und sogar des Großvaters. Es gab rote, goldene und silberne Kugeln, Vögelchen, Trompeten, leuchtende Weihnachtsmänner, Engelchen im Sternenkranz und große und kleine Glöckchen. Selbstverständlich wurde der Christbaum zum Schluss mit Lametta kunstvoll beworfen. Das war noch bleihaltiges Lametta, was dafür umso schöner glitzerte. Und zu meiner Kinderzeit waren noch echte Kerzen am Baum, die ich nach der Bescherung abwechselnd mit meiner Schwester auspusten durfte. Um ganz oben hinzugelangen hat mich mein Vater hochgehoben.
Für mich war dieser Baum etwas Erhabenes.
Bei meiner Tante war der Baum immer ein bisschen kugelig und überwiegend in Silber geschmückt.
Ich hatte von diesem Baum den Eindruck, dass er satt und zufrieden mit sich und der Welt war.
Bei meinen Großeltern gab es „nur“ einen Weihnachtsstrauß in einer großen Bodenvase. Nun ja, da gab es auch keine Bescherung. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Weihnachtsstrauß zu mir sagte, ich bin hier zur Erinnerung an bessere Zeiten, in denen Kinder unter dem Weihnachtsbaum nach Geschenken suchten.
Dieser Strauß hat mich immer etwas bedrückt und traurig gemacht.
Dann muss ich noch unbedingt von dem Weihnachtsbaum der Besitzer unseres Tante-Emma-Ladens erzählen. Dieser Baum wurde nur mit Kerzen bestückt. Kein Schmuck, nur hundert und mehr Kerzen auf silbernen Kerzenhaltern. Das Anzünden der Kerzen war eine große Prozedur. Mit einem langen brennenden Wachsstäbchen wurde Kerze für Kerze von oben nach unten entzündet. Wenn die Kerzen an diesem Baum brannten, dann erwärmten sie das kleine Wohnzimmer, so dass es keines Ofens bedurfte.
Und wenn er in seiner ganzen Pracht dastand, dann „Wow“: majestätisch und von einer Strahlkraft wie aus einer anderen Welt. Einfach faszinierend und überwältigend.
Ich habe noch manch anderen Weihnachtsbaum in meinem Leben kennengelernt, von prunkvoll über traditionell, modern und einfach gemütlich.
Aber den Weihnachtsbaum meiner Kindheit werde ich nie vergessen.
Ein Tännlein aus dem Walde
Ein Tännlein aus dem Walde,
und sei es noch so klein,
mit seinen grünen Zweigen
soll unsre Freude sein!
Es stand in Schnee und Eise
in klarer Winterluft;
nun bringt’s in unsre Stuben
den frischen Waldesduft.
Wir wollen schön es schmücken
mit Stern und Flittergold,
mit Äpfeln und mit Nüssen
und Lichtlein wunderhold.
Und sinkt die Weihnacht nieder,
dann gibt es lichten Schein,
das leuchtet Alt und Jungen
ins Herz hinein.
Albert Sergel