Das erste Mal sollte das Weihnachtsfest bei mir gefeiert werden. Ich hatte alles, was aus Tradition in unserer Familie zum Weihnachtsfest gehörte bereits eingekauft: Heringe, Weihnachtsschinken, die Zutaten für den russischen Salat, ein Rehrücken, Rotkohl,… Es fehlte nichts.
Außer dem Weihnachtsbaum!
Einen Baumständer und eine Decke, auf der der Baum stehen sollte, Strohsterne und massenhaft rotes Schleifenband, alles stand für das Weihnachtsfest bereit. Ja, der Weihnachtsbaum sollte einmal anders aussehen, als er all die Jahre mit dem Weihnachtsbaum-Familienschmuck aussah.
Es fehlte also nur noch der Baum. Es sollte keine Nordmann-Tanne sondern eine Rot-Fichte werden, wie in meinen Kinderjahren.
Ich machte mich auf zum Weihnachtsbaum-Verkauf auf dem Parkplatz meines Kaufhauses. Im Auto hatte ich schon den Rücksitz umgeklappt, damit das gute Stück auch hineinpassen würde. Ich parkte mein Auto auf dem Dach des Kaufhauses und ging die Treppen hinab zum umfunktionierten Parkplatz – Weihnachtsbaumstand.
Lange brauchte ich, um mich für einen Baum zu entscheiden. Er sollte nicht zu klein aber auch nicht zu groß sein, er sollte gerade gewachsen sein und nicht ausladend. Nach gefühlt 100 Bäumen entschied ich mich für das in meinen Augen ideale Exemplar. Ich packte den Baum und brachte ihn zu dem jungen Mann, der für das Einpacken in ein Netz und bezahlen zuständig war. Nun nannte ich einen Weihnachtsbaum mein eigen.
Ich fragte den jungen Mann, ob ich den Baum einen Moment dort stehen lassen könnte, weil ich mein Auto vom Parkdeck holen wollte, um ihn dann zu verstauen. „Kein Problem“ – war die Antwort.
Als ich mit meinem Auto direkt vor dem Verkaufsstand parkte und den Baum einladen wollte, konnte ich den Baum nicht mehr sehen. Wo war er? Nach einigem Umschauen und Suchen ging ich zu dem jungen Mann und fragt ihn.
Er machte nun große Augen und sagte: „Den hat doch gerade ihr Mann abgeholt.“
Nun wurden meine Augen groß: „Ich habe gar keinen Mann!“
Oh, wie peinlich war das dem jungen Mann!
Schuldbewusst half er mir beim Aussuchen eines neuen Kandidaten. Er war aber nicht so schön wie mein erster Baum, erfüllte dann aber doch seinen Zweck.
Oft habe ich darüber nachgedacht, warum jemand einen Baum klaut und in welcher Stube er wohl gestanden hat.
Manchmal male ich mir aus, dass die Familie vielleicht kein Geld für einen Weihnachtsbaum erübrigen konnte und die kleinen Kinder sich so sehr einen Weihnachtsbaum wünschten, dass der Vater dafür einfach einen Baum, der schon bezahlt war, mitgehen ließ.
Wer weiß?
Eine schöne Geschichte mit unerwartetem Ende. Ich dachte zuerst, der Mann sollte beim Tragen helfen.
Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass mit zunehmendem Alter die Hilfsbereitschaft bei den umstehenden Männern deutlich nachlässt.
Wahrscheinlich würden diese Herren sagen: „Isch habe Rücken.“ Auch wenn sie sonst noch sehr rüstig daher kommen.
Nicht nur der Rücken schmerzt, es besteht auch keine Lust mehr anzubandeln. Sonst hätte o. Mann bestimmt den Baum zum Auto hinterhergetragen.