In der Psychoedukationsschulung „Psychische Störungen nach Flucht und Migration“ am Max-Planck-Institut für Psychiatrie wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass in anderen Kulturen die bekannten Erkrankungen ein anderes Erscheinungsbild haben können. So ist es wahrscheinlich, dass in Ländern, die psychische Erkrankungen tabuisieren, diese einen somatischen Ausdruck bekommen. Der oder die Betroffene äußert körperliche Defizite anstatt auf Traurigkeit, Kummer, Angst oder ähnliches zu verweisen.
So berichteten die Helfer, dass Männer eher über Rückenschmerzen oder wandernde Schmerzen über den gesamten Körper klagen und Frauen sich schnell in eine Ohnmacht zurückziehen.
Für diese kulturspezifische Störungen ist oft das notwendige Wissen und damit Verständnis gar nicht gegeben ist, weil eine „kulturgebundene Psychopathologie“ nicht vorhanden ist.
Ein vielleicht noch wichtigerer Faktor kommt hinzu, nämlich die Sprachbarriere. Bei psychischen Erkrankungen ist die Gesprächstherapie eine tragende Säule. Aber wie soll man die durchführen, wenn keine geschulten Dolmetscher vorhanden sind?
Es ist schon schwierig, wenn Menschen im „normalen“ Leben mit unterschiedlichen Kulturen aufeinander treffen. Weitaus schwieriger ist es, wenn ein Teil dieser Menschen unter Gewalt, Verfolgung, Todesangst, Folter gelitten hat. Das können wir wohl gar nicht nachvollziehen. Aber wir können uns sicher vorstellen, dass diese Menschen seelische Erkrankungen ausbilden.
Deswegen finde ich es notwendig, zu unterstützen, wo man kann.
Immer wenn zwei unterschiedlich Erfahrungs- und Erlebnishorizonte aufeinander treffen, dann ist es notwendig, aufeinander zu zugehen, miteinander zu reden, versuchen sich gegenseitig zu verstehen. Das scheitert nicht selten an der Sprache, weil wir verlernt haben auch Gesten und Mimik einzusetzen. Beobachten Sie einmal Kinder, die auch ohne gemeinsame Sprache miteinander spielen, Spaß haben und lachen.
Jeder kann etwas zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Dann wenn man keine Angst voreinander hat, wenn man in der Andersartigkeit kein Problem sondern eine neue Sichtweise erkennen kann.
Nein, ich plädiere nicht dafür, dass man jeden Menschen lieben soll. Auch unter den Flüchtlingen und Migranten gibt es solche, denen ich lieber aus dem Weg gehe. Aber ich werde weder mir noch Ihnen den Weg versperren, sich kennen zu lernen.
Auch wenn die meisten von uns mittlerweile jedes Jahr im „Ausland“ Urlaub machen, ist das Verständnis für andere Kulturen nicht gewachsen, sondern eher geschrumpft. Kaum jemand macht sich die Mühe neben Strand oder Bergen auch die darin lebenden Menschen näher kennen zu lernen. Reisen bildet halt nicht immer.
Meine langjährige Erfahrung als Projektmanagerin hat mir oft gezeigt, dass sogar enger Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erst Rassismus fördern kann.
Es gibt sicher kein für alles gültiges Rezept, wie man Verständnis für andere Kulturen entwickeln kann. Die Geschichte zeigt uns aber auch, dass aus einer Vermischung Neues, Wertvolles entstehen kann.
Und das Schönste ist, wie meine gute deutsche Freundin mit ghanaischen Wurzeln sagt, wenn man aus zwei Kulturen das Beste extrahiert und zu etwas noch Besserem zusammenfügt.
In diesem Sinne,
seht die Bereicherung und nicht den Aufwand und das Geld.
In diesem Sinne,
seid offen und zugewandt.
Ich freue mich immer, wenn ich im Garten arbeite oder wir Gassi-gehen, dass unsere neuen Nachbarn im „Asylanten“-Haus, freundlich grüßen. Die, die die deutsche Sprache schon ein bisschen beherrschen, fragen nach wie es geht und freuen sich auf meine Gegenfrage. Besonders freue ich mich über die aufgeschlossenen, fast perfekt deutsch sprechenden Kinder einer afghanischen Familie. Dann weiß ich, dass wir richtig handeln.
Wer sich weiter informieren möchte, dem empfehle ich das Buch:
Psychotherapie nach Flucht und Vertreibung:
Eine praxisorientierte und interprofessionelle Perspektive auf die Hilfe für Flüchtlinge
von Maria Borcsa, Christoph Nikendei